Screenshot von YouTube mit Videoclip "Peter can't pee"

Geschrieben von Sören Lehmann

Sören ist studierter Betriebswirtschaftler, Journalist und leidenschaftlicher Triathlet. Von den Einschränkungen durch die Paruresis hatte er irgendwann genug. Jetzt arbeitet er daran, sie zu überwinden.

Die Leiden des jungen Peter

Es ist wohl eines der schlimmstmöglichen Szenarien für Paruretiker. Du stehst mit vielen anderen in einer Warteschlange auf der Toilette. Neben dir steht eine bekannte Person, womöglich ein Kumpel. Hinter dir viele andere Wartende. Und vor dir? Das Grauen. Eine sechsmannlange Pinkelrinne. Nur wenige Zentimeter Abstand, keine Trennwände – kurzum: null Privatsphäre! Zwei Plätze werden frei und dein Kumpel – unwissend von deinem Problem – zeigt auf die zwei leer gewordenen Plätze. Der Angstkreislauf rattert schon!

29 Sekunden, die jeder Paruretiker kennt?

In Deutschland sind schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen von Paruresis betroffen. Und dazu kann auch Peter ein Lied singen. Wenn auch fiktiv, verdeutlichen die folgenden 29 Sekunden aus der Serie Family Guy exakt das Problem: Wir haben Angst, in der Öffentlichkeit und vor anderen zu pinkeln.

Verdammt, er hat schon begonnen. Wenn ich nicht gleich pinkel, sieht das richtig merkwürdig aus! Alle sind fertig und ich stehe immer noch da? Verdammt Peter, pinkel endlich!! Was ist falsch bei dir???

Gedankenschnipsel und Selbstgespräche, die du, wenn du auch von Paruresis betroffen bist, kennen wirst. Das Video von Peter wurde mehr als 25.000 mal auf YouTube angeklickt, wenngleich es darunter sehr wenig Kommentare gibt. Interessant ist aber das Like-Verhältnis: 95 Daumen hoch zu 3 runter, was darauf hindeuten könnte, dass viele das Problem kennen und auch irgendwie verstehen. Das zeigt und bestätigt sich auch in den wenigen Kommentaren.

„Hahahahaha, this is me, hands down”

hat z. B. 25 Likes bekommen. Darunter kommentieren andere auch noch Folgendes:

Same, I feel so exposed” oder „I’m glad I’m not the only one.”

Zwei Kommentare, die tief blicken lassen. Das „Same, I feel so exposed” offenbart die Angstzustände, die Gefahr, der man sich immer wieder aussetzen muss. Denn wenn nicht eh schon jemand anderes auf der Toilette ist, könnte jederzeit einer dazu kommen. So oder so leuchten deine Paruresis-Alarmglocken. Oder aufs Wissenschaftliche heruntergebrochen: Unser Kampf-Flucht-System tritt in Kraft, der Sympathikus aktiviert sich, folgend macht der Schließmuskel im wahrsten Wortsinn dicht. Kein Pinkeln mehr möglich!

Außerhalb solcher für einen „peinlichen“ Toilettenszenen, denkt man sich oft, warum gerade ich? Bin ich der einzige? Gefühlt ist es ja so, selbst kennt man kaum Freunde, Bekannte oder überhaupt welche, die davon betroffen sind. Man fühlt sich allein und das macht das Problem nur noch schlimmer. Man kommuniziert es nicht, man schweigt, gibt sich seiner Lethargie hin, es sei hoffnungslos. Doch gerade Aussagen bzw. Einsichten wie „I’m glad I’m not the only one”, helfen, das Problem besser einzuordnen. Ein Schritt, wenn auch ein kleiner, seine Paruresis aktiv zu hinterfragen und sie nicht mehr einfach so hinzunehmen.

Was können wir daraus mitnehmen?

Es versuchen, menschlich zu nehmen. Klar, kann man seine Gedanken nicht einfach von „Ich kann nicht, ich bin ein Loser“ zu „Ach was soll’s, lass sie doch denken, was sie wollen“ umpolen. Dafür haben sich die negativen Gedanken zu lange manifestiert. Was aber eine Lehre daraus sein könnte: Es ist völlig menschlich, vielleicht sogar normal, in der Öffentlichkeit ab und an mal nicht pinkeln zu können. Okay, so leicht ist es für Paruretiker natürlich nicht, aber dieser Gedanke kann helfen, das „kleine Problemchen“ etwas besser einzuordnen.

Hast Du dich wieder erkannt? Was waren deine Gedanken, als du das Video gesehen hast? Wir freuen uns auf dein Feedback.

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