Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern ist die Entscheidung, dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst. Denn natürlich: Vor dem allerersten Paruretiker-Treffen hatte ich offen gesagt schon ein wenig Bange. In meinem Fall sollte es die Situation sein, bei der ich zum ersten Mal überhaupt davon und anderen erzählte. Bislang hatte ich sämtliche Gedanken, Zweifel und sonstige negative Emotionen allein mit mir ausgemacht. Doch im August letzten Jahres beschloss ich, mich meiner Angst zu stellen. Wie könnte so ein erstes Treffen in etwa ablaufen?
Vorne weg: Der Stress, den man sich vorher macht, ist vollkommen unbegründet. Immerhin hält man keine Rede vor einem vollen Saal mit Leuten, die einen „zerfleischen“ wollen. Nein, hier treffen sich Paruretiker. Man ist unter sich. Und da der Zeitpunkt für so ein Treffen nicht immer für jeden potentiellen Teilnehmer passt (Job, Familie, Alltagsdinge, Ausreden?), trifft man sich erstmal nur in kleiner Runde. In meinem Fall waren wir vier Leute. Johannes war einer von ihnen. Und obwohl ich ihn bis dato noch nicht persönlich im realen Leben kennen gelernt hatte, hatte ich schon mal eine Art Bezugsperson, da wir schon ein paar mal gechattet hatten.
Wir trafen uns übrigens in der Praxis von einem der Paruretiker in Berlin. Somit waren wir ungestört, was zumindest zum Anfang enorm hilft. „Es muss ja nicht gleich jeder mitbekommen, was bei mir los ist…“ So dachte ich, denn nur weil ich den Entschluss gefasst habe, es anderen zu erzählen und mich mit der Paruresis auseinander zu setzen, heißt das ja nicht, dass es gleich die ganze Welt erfahren muss. Einen Schritt nach dem anderen. Genau wie bei der Konfrontation auf den öffentlichen Toiletten. Doch dazu kam es während dieses Treffens gar nicht. Es ging wirklich erstmal nur darum, von sich und seinem Problem zu erzählen und Erfahrungen auszutauschen. Johannes und die beiden anderen kannten sich schon, hatten schon zusammen geübt. Also tauschten sie ihre Erfolge bzw. Rückschläge aus.
Darum geht es in erster Linie am Anfang: Sich zu öffnen und davon zu erzählen.
Und es geht auch darum, dass man selbst lernt, mit der Situation umzugehen. Dass man sich durch das Treffen, sprich der Konfrontation mit dem Problem, bewusst wird: „Ja, ich bin zwar Paruretiker, das soll aber nicht mein ganzes Leben so weitergehen“.
Als wir uns an diesem Abend verabschiedeten setzte bei mir ein tiefes Gefühl von Entspannung ein. Endlich hatte ich es anderen erzählt. Für den Moment war ich zufrieden und auch ein bisschen stolz auf mich. Natürlich war das nur der erste Schritt, um Paruresis zu überwinden. Dennoch ein enorm wichtiger! Denn auch große Veränderungen beginnen mit einem kleinen Gedanken. Meinem Gedanken, nicht mehr mein ganzes Leben über Toiletten nachdenken zu müssen.